Dr. Iris Simone Engelke, Gespräche mit Bergmeier 2016 – 2017

Erstveröffentlicht im Katalog:

Als die Götter die Zeit gemacht haben, haben sie genug davon gemacht“

Shan Fan + Rolf Bergmeier

Nichts ist so sehr mit der Ewigkeit verbunden wie der Moment – die Natur versucht nicht zu reproduzieren.“

Rolf Bergmeier

Iris Engelke (IE): Rolf Bergmeier, Du hast den Happening-Charakter früherer Werke längst überwunden. Deine Arbeiten entstehen seit den 90er Jahren in Phasen großer Zurückgezogenheit, wie in einer Klausur.

Wenn ich sie mit einem Satz beschreiben sollte, würde ich sie als schwebend und gleichermaßen konzentriert bezeichnen, charakterisiert von Präsenz und Leichtigkeit zugleich, vordergründig betrachtet eine Widersprüchlichkeit.

Gerade das Weggelassene erlangt Präsenz, wie schaffst Du das?

Rolf Bergmeier (RB) lachend: Ja, meine Arbeiten hängen vorwiegend. Es gibt Boden- und Wandarbeiten und manche hängen von der Decke an feinen Stahlseilen. Dann sieht es so aus, als würden sie schweben.

Das wünscht sich ja jeder Künstler, also jeder Bildhauer, dass seine Arbeit fliegen kann.

Aber der Weg bis zu der Werkserie „Öl auf Holz“ war ein langer Prozess des Suchens.

Ich habe mich aufs Land zurückgezogen, war viel in der Natur, joggen im Wald. Ich suchte nach Materialien, die man selbst auf dem Land nicht mehr benutzen wollte und das waren Äste, die am Straßenrand lagen, weil man dort Bäume beschnitten hatte, so dass die LKWs ungehindert vorbei fahren konnten.

Diese Äste wurden weggeworfen und dann zu meinem Material. Ich habe es erst nicht klar formulieren können. Anfangs habe ich nichts von der Arbeit verstanden – ich wusste nur, je länger ich mich damit auseinander setzte, umso spannender wurde sie. Es ist ja so: ein Bild sollte die Klappe halten, aber wenn man es fragt, sollte es antworten. (…) Wenn man komplexere und tiefer gehende Fragen hat, muss das Werk es auch beantworten können.

Sonst ist es nach meinem Dafürhalten keine Kunst, sondern ein Kultur reflektives Vorgehen.

 

IE: Ein wichtiger Aspekt Deiner Kunst bezieht sich also direkt auf Natur? In welcher Weise?

RB: Genau, es sind Baumäste, verschiedene Querschnitte, verschiedene Baumarten. Und es sind Astgabeln und gebogene Äste.

Es ist allesamt gesundes Holz, das frisch geschnitten wurde. Und es ist eines der beiden Hauptmaterialien, mit denen ich arbeite. Ich arbeite mit Zitaten aus der Natur, aus der Sprache der Natur und mit Raum.

Das sind meine beiden wichtigsten Materialien. Diese Baumäste stammen aus der Sprache der Natur, wie sie seit Jahrmilliarden von der Natur verwendet wird. Und was ich extrem spannend finde, ist, dass es niemals eine Wiederholung gibt. Wie die Variationen funktionieren, das ist mir schon klar, das kann man auch mathematisch ausdrücken. Erste, zweite Feigenbaum-Konstante, aber wie es funktioniert, dass es absolut wiederholungslos bleibt, das ist mir nicht klar. Das finde ich hochgradig faszinierend.

Ich zitiere sozusagen aus der Kreativität selber.

Die Natur hat ein Potenzial, das ich jenseits von Zeit und Raum „verorte“, das unendliche Kreativität ist.

Und wie gesagt interessanterweise: wiederholungslose Kreativität. Erst einmal ist es so, dass ich nicht logisch vorgegangen bin, sondern ich habe mich irgendwann einmal bemüht, absichtslos bildnerisch zu forschen. Dann ist mir aufgefallen, dass die Aspekte in meinen Bildern, denen eine Bildabsicht zugrunde liegt, am ehesten langweilig werden. Und die Aspekte, die spielerisch, aus Versehen entstanden sind, eine hohe und sanfte Bildintensität hatten, und diese sind mit der Zeit eher interessanter geworden.

IE: Da schwingt etwas Unmittelbares, Vorkulturelles mit oder?

RB: Schon, ich arbeite aus einem Zeichenfundus heraus, von dem ich behaupte, dass er in nahezu allen Kulturen Inspiration für frühe Schriftsysteme gewesen ist. Das bedeutet eben auch, dass frühe Menschen einen Teil ihrer bewussten Beziehung zum Wirklichen, sowohl in sich selber als auch ausserhalb von sich selber, über solche Zeichen organisiert haben. Das sind dann magische Runen gewesen bei den Hiesigen. Im chinesischen Raum wird meine Arbeit total anders verstanden als hier. Wenn die Leute sich dort um die Arbeit herum bewegen, können sie darin zum Teil von einer Seite etwas lesen, von einer anderen etwas anderes. (…) Im chinesischen Kontext sieht man das als einen urchinesischen Ansatz.

IE: Liegt darin dann kein Widerspruch, dass das mit Schrift zu hat und damit ja auch mit Bedeutung, also mit Benennung?

RB: Ja, auch mit Konditionierung von Bewusstsein. Das heißt, das ist ein kulturhistorischer Bezug,

der auf die ersten Kultur bildenden Schritte verweist, als Leute angefangen haben, sich mit Zeichen und Lauten zu unterhalten. Es verweist auch auf den Zusammenhang, dass über Schrift und Begrifflichkeiten Bewusstsein organisiert oder aber auch überlagert wird. Ich versuche es noch einmal, präziser zu fassen. Als Künstler bin ich ja immer damit beschäftigt, in dem Moment, wenn ich arbeite, den vollständigen kulturellen Kontext zu negieren. Das setze ich im Werk auch ganz bewusst als bildnerisches Mittel ein.

Ich begebe mich nämlich schlicht an den Anfang der Kultur, da wo Zeichen, die die frühen Menschen in der Natur zu sehen glaubten, mit Emotionen, Hoffnungen, Ängsten in Verbindung gebracht wurden. Möglicherweise waren es magische Zeichen, die die ersten Schriftzeichnungen waren. Schrift ist dann, denke ich, unbestreitbar die wesentlichste Voraussetzung für eine Kulturbildung.

IE: Der Philosoph Jean Gebser benutzte auch den Begriff des magischen Bewusstseins und sah den Menschen in seiner Evolution vom magischen hin zum integralen Bewusstsein. Da kommen wir der Sache wieder näher.

RB: Das ist das eine Ende, das ich formal in meiner Arbeit markiere. Das andere Ende ist der innere Raum.

Ich arbeite mit sehr strengen Innenformen und damit rekuriere ich auf die Plastik der Moderne mit ihren strengen, geometrischen, berechenbaren, industriell herstellbaren Aspekten. Auf diese sehr strengen Ordnungsprinzipien in der Plastik der Moderne nehme ich schon ganz bewusst Bezug.

Und darüber setze ich dann die Sprache der Natur, oder ich nehme es mir aus der Buchstabensuppe

der Natur und organisiere das dann neu. Dann nehme ich die Moderne heraus und lasse an dieser Stelle eine Leerstelle entstehen.

Etwas, das so sehr nichts ist, dass es sich auf den Raum an sich bezieht.

IE: Mit der Moderne nimmst Du wahrscheinlich auch Bezug auf das Bauhaus und ich würde noch gerne den mentalen Quantensprung erwähnen, den Malewitsch mit seinen suprematistischen Bildern markiert und mit denen er die westliche Kunst des 20. Jahrhunderts revolutioniert hat.

Er lehnte einen Naturbezug in seiner Kunst strikt ab.

RB: In der ersten Arbeit, die ich mit Ästen realisiert habe, die dann damals auch im Museum Schloss Salder hing, habe ich ganz genau Bezug genommen auf Malewitschs Werk „Schwarzes Quadrat“. In den Innenraum dieser Arbeit hätte mein Werk genau reingepasst.

Ich habe aus Styropor die Abmessungen dieses Bildes geformt (80x80x7) und dann darum eine Ästestruktur gearbeitet.

 

IE: Du machtest ein Tafelbild zu einer Plastik?

RB: Für mich ist der Bildträger ein plastisches Objekt und gehört untrennbar zum Bild dazu.

Ich bin damals schlicht von 7 cm [Tiefe] ausgegangen, weil ich die genaue Zahl ja nicht heraus finden konnte. Dementsprechend habe ich einen Styroporkörper gebastelt und um diesen habe ich meine Ästestruktur angelegt. Abschließend habe ich dann dieses dreidimensionale Zitat heraus genommen, so dass der Innenraum frei wurde.

Damit ist der Raum selber zum Gegenstand der Betrachtung geworden. Ich habe den historischen Bezug nur noch als Negativform, als verlorene Form. Da ist mir zunächst aus Versehen etwas passiert, was für die Rezeption meiner Arbeit, bei der es auf die intuitive Wahrnehmungsebene geht,

extrem wichtig ist. Bei Plastiken war bis dahin immer das Außen perfekt, und das Innen konnte man meistens gar nicht sehen.

Und es war eben nicht perfekt. Bei mir ist es so, dass das Innen perfekt ist und das Außen nicht. Das bedeutet, jemand, der meine Arbeiten sieht, nimmt auf einer Instinktebene wahr, dass da drinnen ein präziser geometrischer Körper sein müsste.

Auf einer intellektuellen Ebene wird eine Äste-Struktur wahrgenommen, die aber nach außen hin unpräzise ist.

Das heißt, der Intellekt ist eigentlich gar nicht dafür gemacht, solche Strukturen wahrzu- nehmen.

Auch der Instinkt ist nicht dafür gedacht und hat da eben auch seine Schwäche, solche geometrischen Körper wahrzunehmen.

Das heißt: ich habe zwei divergierende Wahrnehmungsebenen an ihrer schwächsten Stelle angesprochen.

Dadurch entsteht manchmal, bei wenigen Betrachtern, etwas, das sie in einen Ausnahmezustand versetzt. Ein kontemplativer Ausnahmezustand, in dem eine nicht intellektuelle Auseinandersetzung mit den Dimensionen, aus denen heraus ich arbeite, stattfindet: eine Begegnung.

Das ist es, was mich interessiert.

IE: Ja, man kommt als Betrachter nicht umhin, sich mit dem nicht Vorhandenen, dem nicht Fassbaren, dem Unendlichen zu beschäftigen.

RB: Das Endliche als Gegenstand der Betrachtung wird durch das Unendliche relativiert.

Sinngemäß fasst dieser Satz von Friedrich Schlegel meine bildnerische Grundintention zusammen.

Damit lässt sich meine Arbeit in der Philosophie der deutschen Frühromantik, dieser Notwehrreaktion auf die Aufklärung, verorten. Ich glaube schon, dass eine kompositorische Verdichtung ein höheres Potenzial und stärkere Bildkraft hat, wenn man eine poetische Verdichtung vornimmt – wenn man sich darauf einlässt.

IE: Da spielt der Faktor Zeit eine große Rolle, wie sollte sich sonst auch auch etwas ereignen können? Ebenso bist Du zu Deiner jüngeren Werkserie gekommen, die Du mit „Rainbow in Dark“ (Regenbogen im Dunkeln) betiteltst. Was hat es damit auf sich? Auf den ersten Blick scheinen Deine Werke noch immer nicht sehr farbig.

RB: Das kam mir als ich für längere Zeit in meiner kleinen Dunkelkammer gesessen habe.

Ich sollte für einen Ort namens Santa Lucia in Venezuela eine Ausstellung kuratieren, die etwas mit dem Ort zu tun haben sollte.

Da ich den Ort nicht kannte, und es kein Reisebudget gab, habe ich nachgelesen, was es mit Santa Lucia auf sich hat. Es ging also um eine Frau, die sich selbst die Augen heraus genommen hat, um nicht zwangsverheiratet zu werden. Sie war eine christliche Märtyrerin und wurde dann später heilig gesprochen. (…) Eigentlich ist das ja für die Kunst total spannend, weil der Sehsinn für die Kunst der wichtigste Sinn überhaupt ist. Dann habe ich mir gedacht, versuche einmal heraus zu finden – ohne die Schmerzerfahrung und auch reversibel -, wie das wäre, nichts zu sehen. Ich habe mir eine Augenbinde gebastelt, mich ins Dunkle gesetzt und gewartet, was passieren würde.

Zuerst kamen die Gedanken in Schwung, aber nach einer Zeit kam eine ganz große Ruhe. Nach zirka zwei Stunden war es richtig ruhig. Das war für mich damals überraschend. Ich habe vorher nie über Abstinenz von Sinnen in der Kunst nachgedacht. Diese Ausstellung hieß dementsprechend „Silent position“.

IE: Die Erfahrung der Abstinenz vom Sehsinn hat Dich aber danach nicht losgelassen?

RB: Genau, ich habe mich dann für längere Zeit in eine Art Kiste gesetzt. Daraufhin sind irgendwann Farbwahrnehmungen gekommen und alles mögliche an emotionalem Zeug.

Aber mich interessierten besonders die Farbwahrnehmungen. Dann hat sich mir die Frage gestellt, was bitte ist das?

Ist das so, dass hier der Geist anfängt zu spinnen, oder hat das eine Realität? Das finde ich wiederum extrem spannend für meine Kunst, denn so habe ich noch einmal einen ganz anderen Aspekt der Frage an die Wirklichkeit gefunden. Mir geht es ja um einen Zugang zur Wirklichkeit.

Bei diesem Aspekt geht es um eine malerische Frage, aber wenn es Realität ist, kann es für mich nicht darum gehen, es nachzumalen. Das könnte ich sowieso nicht.

IE: Aber Du hast versucht, Deine Erfahrung im Dunkelraum für den Betrachter aufscheinen zu lassen.

RB: Ja, und ich hoffe, dass es so sein wird, dass die Arbeit von weitem Weiß oder Schwarz aussieht und wenn man näher herangeht, es überraschenderweise farbiger wird. Ich taste mich da noch heran. Schon meine Kunstlehrerin in der Grundschule, Frau Grütter, sagte, dass Schwarz und Weiß keine Farben seien, sondern Erscheinungen des Lichts.

Das fand ich damals eine steile These. Der Gedanke hat mich aber sehr beschäftigt.

Eine neue Frage an meine plastische Arbeit ist also zur Zeit: was ist denn eigentlich Wirklichkeit?

Das heißt, ich bin noch einmal in dem Status des Unwissens angekommen und da fühle ich mich eigentlich ganz wohl (lacht).